Либертариум Либертариум

Die langen Ohren des FSB im Internet

Von Florian Hassel, Frankfurter Rundschau, 19.03.1999
Der russische Geheimdienst will im Lande wieder eine luckenlose elektronische Uberwachung einfuhren

18.03.1999

Frankfurter Rundschau 1999

Die langen Ohren des FSB im Internet

Der russische Geheimdienst will im Lande wieder eine luckenlose elektronische Uberwachung einfuhren

Von Florian Hassel (Moskau)

Als der Wolgograder Geschaftsmann Oleg Sirow im November 1997 den Internet-Dienst Bayard-Slavia eroffnete, rechnete er mit guten Geschaften bis ins neue Jahrtausend. Sirow schlo? mit der stadtischen Telefongesellschaft einen Vertrag bis 2002. Die Gesellschaft vermietete Sirow Buros, vor allem aber legte sie ihm die in der russischen Provinz immer noch seltenen guten Telefonleitungen, die fur eine stabile Verbindung ins Internet unverzichtbar sind. Immer mehr der schatzungsweise 10 000 Internet-Nutzer Wolgograds interessierten sich fur Sirows Dienste. Ein halbes Jahr nach Eroffnung kam ein neuer Kunde: der Geheimdienst FSB. Der erklarte dem verblufften Geschaftsmann im April vergangenen Jahres, Sirow solle auf eigene Kosten Uberwachungstechnik installieren, notwendige Kanale fur den FSB mieten und den Geheimdienst samtliche Daten aller Kunden in Realzeit uberspielen - einschlie?lich des gesamten elektronischen Briefverkehrs, der besuchten Internet-Seiten und Nutzungsdauer aller Kunden.

Sirow weigerte sich. Wolgograds Geheimdienstchef, FSB-Generalmajor Wladimir Kolesnikow, forderte das ortliche Fernmeldekomitee daraufhin in einem Brief vom 16. Oktober 1998 auf, Sirow die Lizenz zu entziehen. Vor wenigen Wochen erhielt Sirow von der stadtischen Telefongesellschaft - der einzigen am Ort - die fristlose Kundigung fur seine Buroraume und die Telefonleitungen. Das Ultimatum endete am 15. Marz, und Sirow rechnet nun mit einer Zwangsraumung. Auch nach einem zweistundigen Gesprach in der Wolgograder Geheimdienstzentrale will Sirow den Forderungen des FSB nicht nachgeben. "Ihre Forderungen sind ein klarer Bruch der russischen Verfassung." FSB-Sprecher Gennadij Krjukow sagte der FR: "Wir handeln immer gema? dem Gesetz und zwingen niemanden. Mit dem Lizenzentzug haben wir nichts zu tun."

Sirow ist nicht der einzige Internet-Anbieter, der unter Druck steht. Geht es nach dem FSB, mussen alle rund 350 Internet-Provider Ru?lands den Geheimdienstlern grenzenlosen Zugang zu allen Daten ihrer schatzungsweise eine Million Nutzern ermoglichen. Die Grundlage dafur haben die Spione gema? alter Sowjettradition mit einem dem Au?enstehenden vollig unverstandlichen Dokument geschaffen: "Allgemeine technischen Anforderungen" des "System operativ-aufklarerischer Ma?nahmen" (SORM-2). Tritt es in Kraft, mussen die Internet-Anbieter dem Geheimdienst spezielle Uberwachungsgerate abkaufen, installieren und eine schnelle Glasfaserverbindung zum FSB-Quartier legen - ebenfalls auf eigene Kosten. Laut Entwurf soll SORM-2 das Lesen "aller gesendeten oder empfangenen Informationen jedes beliebigen Anwenders sicherstellen". Auch alle anderen Datentransfers, etwa Pager-Nachrichten, Videokonferenzen und Telefonate sollen dann uberwacht werden konnen.

Der stellvertretende FSB-Direktor Alexander Bespalow und Alexej Rokotjan, der Abteilungsleiter Telekommunikation der staatlichen Kommunikationsaufsicht Goskomswias, segneten SORM-2 bereits am 20. August 1998 ab. Die Behorden stellen sich auf den Standpunkt, da? SORM-2 kein Gesetz, sondern nur eine Regulierung und die Zustimmung des Parlaments somit nicht erforderlich sei. Lediglich das Justizministerium musse die Bestimmung noch absegnen. "Die FSB-Argumentation ist volliger Blodsinn", sagt Jurij Wdowin, Vize-Prasident der Petersburger Menschenrechtsorganisation "Burgerkontrolle". "Die FSB-Plane widersprechen dem in der Verfassung garantierten Brief- und Fernmeldegeheimnis, das nur auf richterliche Anordnung aufgehoben werden darf."

Die Geheimdienstler argumentieren, sie wurden auch weiterhin nur mit richterlicher Erlaubnis die ihnen ubertragenen Daten einsehen. Die Kritiker des Geheimdienstes furchten, da? sich der FSB um Gerichtsbeschlusse nicht mehr scheren wird, wenn er erst die technischen Moglichkeiten zur grenzenlosen Kontrolle hat. "Die FSB-Leute sind die gleichen, die fruher als KGB-Leute schrankenlos abgehort haben", sagt Burgerrechtler Wdowin. "Sie konnen jedes Material sammeln und meine Geschaftsgeheimnisse an meine Konkurrenten oder die Mafia verkaufen."

Wladimir Beljajew, Direktor des gro?en Moskauer Internet-Anbieters Mr. Postman, gehort zu den wenigen, die die Furcht vor einem allumfassend kontrollierenden Geheimdienst fur ubertrieben halten. Die Vorstellung von einer schwarzen Box als Kontrollinstrument und eines Glasfaserkabels zum FSB pro Internetanbieter sei naiv. "Jeder gro?ere Anbieter hat mittlerweile so viele Internet-Zugange, da? eine luckenlose Uberwachung unmoglich ist." Noch habe der Geheimdienst nicht klargemacht, wie er sich die Kontrolle vorstelle. Doch Beljajew la?t keinen Zweifel daran, da? "wir die Forderungen des FSB erfullen und die verlangten Gerate installieren werden, wenn die entsprechenden Bestimmungen erlassen sind".

Das Interesse von Geheimdienstlern am Internet ist nicht neu. "Innerhalb Europas werden alle E-Mails, Telefonate und Faxnachrichten routinema?ig von der National Security Agency (NSA) der Vereinigten Staaten ausgewertet", hei?t es in einem Report an das Europaische Parlament vom Januar 1998. Die NSA mit Sitz in Fort Meade im Bundesstaat Maryland (www.nsa.gov:8080) ist unter den funf US-Geheimdiensten fur elektronische Spionage zustandig. Auch Manfred Kanther (CDU), Innenminister unter Helmut Kohl, wollte 1997 keinen "rechtsfreien Raum" im Internet dulden und alle deutschen Serviceprovider verpflichten, Zugriff auf die elektronische Post ihrer Kunden zu ermoglichen und Kopien von Verschlusselungscodes bereitzustellen.

Anatolij Lewentschuk, gelernter Chemiker und Internet-Spezialist in Moskau, der die weitergehenden SORM-Uberwachungsplane der Geheimdienstler zuerst auf seinem Internet-Site offentlich machte (www.libertarium.ru), glaubt, da? der Geheimdienst "Telefonate und Pagernachrichten ohnehin schon nach Belieben uberwacht". Das Internet mit seiner digitalen Technik sei "die letzte Bastion, die der FSB noch knacken mu?". Wladimir Beljajew vom Provider Mr. Postman bestatigt, da? der Geheimdienst schon jetzt ab und zu Daten seiner Kunden einsieht.

Doch nicht nur die Regierung will der Freiheit im Internet den Garaus machen. Auch die Kommunisten in der Duma, der unteren Kammer des Parlamentes, drangen auf mehr Kontrolle. Am 14. Januar 1998 nahm die Duma mit 299 von 450 Stimmen in erster Lesung Korrekturen am Mediengesetz vor: Danach sollen nur noch registrierte Nutzer im Internet veroffentlichen durfen, wobei Minderjahrige und Auslander ausgeschlossen sind. Moglicherweise im April steht die zweite Lesung an. Fur Igor Lukaschew von der liberalen Jabloko-Partei ware es "am besten, wenn die zweite Lesung auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben wurde". Doch das sei unwahrscheinlich. Im Komitee fur Kommunikation drangten die Kommunisten bereits auf weitere reaktionare Korrekturen und baldige Lesung.

Auch was die luckenlose Uberwachung des Internets durch den FSB angeht, ist Internet-Experte Lewentschuk wenig optimistisch. "Wie bei anderen Rechtsverletzungen auch gibt es auch diesmal keine organisierte Opposition. Ich zweifele nicht, da? der FSB seine Plane noch vor den Parlamentswahlen in die Tat umsetzen wird."

Copyright © Frankfurter Rundschau 1999
Dokument erstellt am 18.03.1999 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 19.03.1999

Московский Либертариум, 1994-2020